Meine Bücher zu Politik, Kirche, Religion, Evolution
Meine Bücher zu Politik, Kirche, Religion, Evolution

Vorworte: Ist das heilig, oder kann das weg?

 

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

1962, Hauptpostamt Mainz. Hier sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Vielleicht war es auch schon 1961, so genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls hatte ich gerade meine Ausbildung zum einfachen Postdienst beendet oder ich war kurz vor dem Abschluss. Egon hatte einen Teilzeit-Job bei der Post, und so kamen wir irgendwann ins Gespräch.
Er war Bäcker, aber seinen Beruf konnte er jetzt nicht ausüben, denn er besuchte ein Abendgymnasium mit der Absicht, die Abitur-Prüfung abzulegen. Ich hatte ebenfalls begonnen, mich weiterzubilden. In Abendkursen an der Volkshochschule wollte ich die Mittlere Reife erreichen. Als ich ihm das erzählte, riet er mir, keine halben Sachen zu machen, sondern lieber gleich das Abitur anzustreben. Ich ließ mich überzeugen und ging auch zum Abendgymnasium.
Es ging uns nicht darum, mehr Geld zu verdienen oder unser Ansehen aufzubessern. Vielmehr wollten wir uns Fähigkeiten aneignen, mit denen wir vielleicht einen gesellschaftlichen Beitrag würden leisten können, der uns wichtiger erschien als unsere bisherigen Rollen. Beide zielten wir auf ein Theologie-Studium.
Einige Jahre waren wir dann befreundet, bis wir uns aus den Augen verloren. Nach mehr als 50 Jahren fanden wir über das Internet wieder Kontakt zueinander. Dabei stellte sich heraus, dass wir beide tatsächlich Theologie studiert hatten. Egon katholische, ich evangelische. Allerdings mit unterschiedlichem Ausgang. Egon wurde Religionslehrer. Ich habe das Studium nicht abgeschlossen und mich (nach weiteren Studien) dem Journalismus zugewandt.
Nun könnte man wohl annehmen, wenn zwei Freunde sich nach vielen Jahren wiederfinden, haben sie sich viel zu erzählen. Bei uns waren die Erzählungen hingegen schnell abgehandelt. Stichwortartig haben wir uns gegenseitig über unsere Lebensläufe informiert. Danach sind wir gleich in einen Gedankenaustausch über „Gott und die Welt“ eingestiegen. Denn es war klar: Trotz ähnlicher Ausgangslage und vergleichbarer Motivation zeigen unsere Lebensläufe nicht viele Gemeinsamkeiten. Weil das so ist, wollten wir uns gegenseitig einen Einblick bieten und verschaffen, wie der andere tickt.
Auf den folgenden Seiten geben wir unsere E-Mail-Korrespondenz so wieder, wie wir sie geschrieben haben, also ohne redaktionelle Überarbeitung für den Abdruck. Lediglich die Texte, die an einen weiteren Freundeskreis adressiert waren, haben nur auszugsweise Eingang in das Büchlein gefunden.
Warum sollte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, das interessieren? Wir stellen uns vor, der eine oder andere Gedanke, den wir zu Papier gebracht haben, könnte der einen oder dem anderen von Ihnen bekannt vorkommen. Wir beide stehen in einer kritischen Haltung gegenüber Kirchen und Religion. Wie Sie sehen werden, befinden wir uns aber an unterschiedlichen Standorten. Vielleicht verorten Sie sich irgendwo dazwischen. Und vielleicht – das würde uns sehr freuen – können wir Ihnen sogar ein wenig behilflich sein, ihre eigene Position zu bestimmen.
Mainz, im Januar 2023, Gerd Kallweit

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

unsere beiden unterschiedlichen, aber nie unversöhnlichen Weltsichten, eine mehr rationale und eine mehr kontemplative, konnten wir per Briefwechsel ausformulieren und gegenübergestellen.
Als Gerd mich aber vor einiger Zeit mit seiner Absicht konfrontierte, dass er unseren Brief- bzw. Mailwechsel öffentlich machen möchte, da fiel mir zuerst nur „Schnapsidee“ ein. Mir vorzustellen, dass unsere Korrespondenz irgendwen auch nur annähernd interessieren könnte, gelang mir nicht.
Dennoch wagte ich einen Versuch und bat einen Bekannten, unseren Gedankenaustausch einmal mit den Augen eines unbeteiligten Dritten zu betrachten. Sein Resultat überraschte mich, denn dieser Leser meinte, dass er die Lektüre nicht nur spannend, sondern sogar sehr spannend fände.
Diese Qualifizierung machte mich in meinem abwertenden ersten Urteil wankelmütig und mir fiel Goethes Faust ein: „Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt, und wo Ihr’s packt, da ist’s interessant.“ Und so konnte ich mir Gerds „Schnapsidee“, unsere Korrespondenz öffentlich zu machen, als ein ernstes Anliegen zu eigen machen und einer Veröffentlichung mit voller Überzeugung zustimmen.
Und jetzt ist es da: Ein Packen Menschenleben, „(noch) nicht vielen ist’s bekannt“, einfach so herausgegriffen, darauf wartend von Ihnen liebe Leserin, lieber Leser als „interessant“ bewertet zu werden.
Maria Thalheim, im Januar 2023, Egon Weiß